Outsourcen? Nearshoren? Selbst besetzen? – Viele Wege, ein Ziel: funktionierende IT-Teams.
Der anhaltende Fachkräftemangel in der IT-Branche führt dazu, dass Unternehmen zunehmend verschiedene Strategien zur Sicherstellung ihrer Personalbedarfe prüfen. Eine dieser Strategien ist das Nearshoring – die Auslagerung von IT-Dienstleistungen an Dienstleister oder Fachkräfte in geografisch und kulturell nahegelegenen Ländern.
Definition und Abgrenzung
Nearshoring bezeichnet die Verlagerung von Dienstleistungen, insbesondere in der Informationstechnik, in Länder, die sich in räumlicher Nähe zum Heimatland des Unternehmens befinden. Im deutschen Kontext zählen häufig Polen, Rumänien, Bulgarien, Tschechien oder die Türkei zu Nearshore-Zielländern. Abzugrenzen ist Nearshoring vom Offshoring, bei dem Leistungen aus weiter entfernten Regionen – etwa Indien oder Südostasien – bezogen werden.
Typische Einsatzbereiche
Im IT-Umfeld wird Nearshoring häufig in folgenden Bereichen eingesetzt:
- Softwareentwicklung und -wartung
- Qualitätssicherung und Testing
- Infrastruktur- und Cloud-Management
- Application Management Services
- 24/7-Support-Dienstleistungen
Die Zusammenarbeit erfolgt in der Regel entweder über projektbasierte Vergaben, langfristige Dienstleistungsverträge oder durch dedizierte Entwicklungsteams, die extern bereitgestellt werden.
Rahmenbedingungen
Unternehmen, die Nearshoring einsetzen, berücksichtigen dabei verschiedene organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen. Dazu zählen unter anderem:
- Zeitzonen und Arbeitszeiten: In vielen Nearshore-Zielländern überschneiden sich die Arbeitszeiten mit mitteleuropäischen Bürozeiten, was eine synchrone Zusammenarbeit erleichtert.
- Sprachkenntnisse und Kommunikation: Die Projektsprache ist in der Regel Englisch. In einigen Ländern bestehen auch erweiterte Deutschkenntnisse im IT-Umfeld.
- Datenschutz und Compliance: Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gelten nationale und europäische Datenschutzbestimmungen. Je nach Standort gelten unterschiedliche Anforderungen an den Umgang mit Daten (z. B. bei DSGVO-Relevanz).
- Rechtsrahmen: Vertragsmodelle orientieren sich meist an EU-Richtlinien oder bilateralen Vereinbarungen. Die konkrete Ausgestaltung von Dienstverträgen, Haftung und Leistungsdefinitionen variiert.
Vorteile und Nachteile von Nearshoring
Wie bei jeder strategischen Entscheidung bringt auch Nearshoring sowohl Potenziale als auch Herausforderungen mit sich. Eine objektive Abwägung hilft Unternehmen dabei, zu entscheiden, ob und wann das Modell geeignet ist.
Vorteile:
- Verfügbarkeit von Fachkräften: In vielen Nearshore-Ländern steht ein großer Pool qualifizierter IT-Spezialist:innen zur Verfügung.
- Kosteneffizienz: Die Lohnkosten liegen häufig unter dem Niveau westeuropäischer Länder.
- Kulturelle Nähe: Gemeinsame europäische Werte und ähnliche Arbeitsstandards erleichtern die Zusammenarbeit.
- Geringe Zeitverschiebung: Projektabstimmungen und Meetings sind während der regulären Bürozeiten möglich.
- Skalierbarkeit: Teams lassen sich je nach Projektbedarf flexibel erweitern oder reduzieren.
Nachteile:
- Unterschiedliche Qualitätsstandards: Ohne klare Vorgaben und Reviews kann es zu Abweichungen in Arbeitsweise und Ergebnisqualität kommen.
- Kommunikationsaufwand: Trotz kultureller Nähe können sprachliche oder organisatorische Barrieren entstehen.
- Onboarding und Integration: Externe Teams benötigen klare Strukturen, um in bestehende Prozesse eingebunden zu werden.
- Datenschutz & IT-Sicherheit: Sensible Daten müssen unter Einhaltung nationaler und EU-weiter Vorschriften verarbeitet werden.
- Abhängigkeit von Dienstleistern: Die Steuerung externer Partner erfordert Ressourcen und vertragliche Absicherung.
Fazit
Nearshoring ist ein etabliertes Modell, um dem Fachkräftemangel in der IT wirksam zu begegnen. Es bietet eine Kombination aus Kostenvorteilen, rechtlicher Sicherheit und Nähe zur Unternehmenskultur – insbesondere im europäischen Raum. Gleichzeitig erfordert das Modell eine sorgfältige Auswahl von Partnern, klare Rahmenbedingungen und zusätzliche Steuerungsressourcen.
Quellen:
- Bitkom (2023). Fachkräftemangel in der IT – Aktuelle Zahlen und Trends. Abgerufen von https://www.bitkom.org
- Dachs, B., & Zahradnik, G. (2020). Nearshoring in Europa: Chancen und Risiken für Unternehmen. WIFO – Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung.